Wolfgang Wittenburg
° Autor
° Journalist
° Sprecher
PRESSEBÜRO
WITTENBURG
Als Trauma wird eine
psychische Ausnahmesituation eines Menschen bezeichnet. Ausgelöst werden kann so eine seelische Wunde durch Kontrollverlust oder Lebensgefahr bei überwältigenden Ereignissen wie Gewalt, Krieg und
Katastrophen. Die einfühlsame ZDF-Dokumentation „37 Grad: Ererbtes Trauma – Julien und der Schmerz der Anderen“ zeigt ein Beispiel dafür, dass man seelische Wunden über Generationen vererben
kann. Transgenerationale Weitergabe nennt die Forschung es, wenn seelische Verletzungen über mehrere Generationen überliefert werden. Vererbt werden traumatische Erfahrungen meist unbewusst von
Eltern oder Großeltern an die Nachkommen. Erhöhte Verwundbarkeit, irrational erscheinende Ängste und Selbstwertprobleme können Folgen sein. Betroffene leiden unter Symptomen, als hätten sie die
traumatischen Erlebnisse selbst erlitten. Epigenetiker, die wissenschaftlich die Regulation von Genen untersuchen, haben herausgefunden, dass ein Trauma sogar das Erbgut verändern kann – die
Vergangenheit lebt quasi auch in den Zellen fort. Seit
drei Jahrzehnten bilden Tina Soliman (Buch und Regie) und Torsten Lapp (Kamera) ein erprobtes und erfahrenes Filmemacher-Team. Mit dieser
ZDF-Doku ist beiden ein weiteres Filmwerk mit Seltenheitswert gelungen. Für Soliman war es besonders berührend zu sehen, wie Julien in der ruandischen Hauptstadt Kigali geradezu aufblüht, wie
selbstverständlich in die Kultur eintaucht, obwohl er noch nie zuvor dort war. Julien reagiert auf Klänge, Gerüche und Bewegungen, als ob er sie schon einmal gehört, gerochen, getanzt hätte.
„Diese Reise ist das Heilsamste, was ich in den letzten 35 Jahren getan habe“, meint er über seine mutige Spurensuche. Allgemeiner sagt Tina Soliman: „Dieses Thema trifft jeden von uns, denn wir
sind alle Kinder unserer Eltern und diese ihrer Vorfahren. Natürlich prägen sie uns, aber uns prägt eben auch, was sie erlebt haben. Es geht also nicht nur darum, die biografischen Daten in einer
Familie zu kennen. Wichtiger ist, die Gefühle und Ereignisse zu kennen, die damit verbunden sind.“ Für Soliman gibt es da noch einiges aufzuarbeiten. Die junge Generation will wissen, warum sie
ist, wie sie ist. Es braucht auch Mut dazu – und Julien hatte ihn.